Im Gespräch mit: Petra Rebhandl-Schartner
Urspünglich hatte sich Petra Rebhandl-Schartner im Jahr 2003 auf eine Stellenausschreibung der Oase (Kommunikationszentrum AhA) als Psychologin beworben; Sigrid Steffen, Vorsitzende des Vereins AhA, erkannte allerdings Rebhandls Potential für ein anderes, wichtiges Projekt, in dem die Kinder von psychisch erkrankten Eltern eine zentrale Rolle spielen sollten. Und so begann Petra Rebhandl-Schartner gemeinsam mit ihrer Kollegin Maria Stemberger ein Konzept zu entwickeln, das in weiterer Folge als Verein JoJo "geboren" wurde. Vor gut 20 Jahren waren Kinder psychisch erkrankter Eltern noch "unsichtbar": es gab kaum Literatur zu dem Thema und selbst im therapeutischen Setting wurden Kinder kaum als betroffene Angehörige wahrgenommen. Seit damals hat sich viel verändert - aber Petra Rebahndl-Schartner blieb über die Jahre auf unterschiedlichen Wegen immer für JoJo tätig, "auch wenn ich derzeit zum ersten Mal beim Verein angestellt bin" ergänzt die Psychologin lachend.
In ihrer aktuellen Funktion arbeitet Petra ergänzend zu ihrer Arbeit in der freien Praxis bei JoJo für "Ich, Du, Wir - unsere Welt" und "Eltern stark machen". Für ersteres hat sie mit Anfang des Jahres auch die Leitung des "Team Nord" übernommen und freut sich, damit auch wieder ihrem ursprünglichen Anliegen, Familien mit Kindern ab einem Alter von 3 Jahren zu begleiten, "in voller Bandbreite" nachkommen zu können. Als zentrales Element ihres Tuns versteht sie "das Auf und Ab einer psychischen Erkrankung langfristig und mit Leichtigkeit zu begleiten - nicht durchgehend aber immer wieder." Konkret bedeutet das, dass die Familien bei JoJo im Normalfall über 15 bis 20 Einheiten begleitet werden. Danach werden sie im Rahmen eines "Follow up" nach drei Monaten wieder von der Psychologin kontaktiert. "Einige "Kinder" melden sich aber auch erst nach Jahren wieder bei uns, zum Beispiel wenn sie von zuhause ausziehen um zu studieren oder ähnliches. An diesen Schnittstellen benötigen sie manchmal wieder Unterstützung."
Ene kontinuierliche Begleitung beginnt für die Psychologin damit, dass die Familien zu allererst eine gemeinsame Sprache zur psychischen Erkrankung finden. Viele Betroffene wollen ihre Kinder nicht belasten und vermeiden, über die Krankheit zu sprechen. "Doch Kinder haben ganz besonders feine Antennen und spüren, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Wird durch die Eltern aber kommuniziert, dass alles "ok" ist, können sich die Kinder mit der Zeit auf ihre "Antennen" nicht mehr verlassen." Zentraler Kern des Angebots "Ich, Du, Wir - unsere Welt" ist es folglich, Kinder altersgerecht und ihrem Entwicklungsstand entsprechend über die psychische Erkrankung des Elternteils oder auch eines Geschwisterkindes aufzuklären: "Durch die Aufhebung des Tabuthemas erleben die Familien eine große Entlastung in Schuld- und Verantwortungsgefühlen und die Kinder werden nicht mehr im Schweigen alleine gelassen. Wenn Familien die psychische Erkrankung zum Theme werden lassen, kommen sie in Bewegung - weg vom Ich, hin zum Du und zum Wir. Gleichzeitig erfahren die Familien, dass es vielen Menschen geht wie ihnen. Auch das hilft."
Und doch bleiben viele Herausforderungen: wenn bei einem betroffenen Elternteil keine Krankheitseinsicht vorliegt und damit eine Unterstützung der Kinder zum Loyaltitätskonflikt wird, wenn Familien sehr isoliert und mit geringen Ressourcen von außerhalb zurechtkommen müssen oder wenn auf gesellschaftlicher Ebene der Rückzug durch Unverständnis und Vorurteile verstärkt wird. "Wenn die eigenen Gefühle, der innerste Kern deiner Persönlichkeit durcheinandergerät, wenn Schuld- und Schamgefühle überhandnehmen, wenn die Grenze zwischen "was ist krank und was nicht" unklar wird, wenn sich die Frage stellt ob ich trotz der Erkrankung noch eine gute Mutter, ein guter Vater sein kann, dann fehlen manchmal ganz einfach auch die Worte."
Doch hier möchte die Psychologin den Betroffenen Mut machen: "Wenn wir genau hinsehen, finden wir in jeder Familie Dinge, die gut sind; finden wir Stärken, die trotz oder wegen der Krankheit eine Familie ausmachen. Ich sehe viele Eltern, die erschöpft sind und trotzdem kämpfen." In diesem Hinschauen gemeinsam mit den Kindern erlebt Rebhandl-Schartner auch die schönsten Momente ihrer Arbeit. Dann nämlich, wenn Kinder lernen, dass sie sich abgrenzen und auf sich achten und sich dennoch sorgen können. Wenn Kinder Inseln entdecken, auf denen ihre Kindheit trotz allem leicht und unbeschwert ist und wo es nur um sie selbst geht. Wenn Kinder und Jugendliche sich die Erlaubnis geben, ihren eigenen Weg zu gehen und wenn ihre Antennen auch wieder für ihre eigenen Bedürfnisse funktionieren.
Angesprochen auf die allgemeine Entwicklung im Umgang mit psychischen Erkrankungen über die letzten Jahre sieht Rebhandl-Schartner viel Positives: es gibt vielfältige und kindgerechte Fachliteratur, Kampagnen zur Sensibilisierung und zur Antistigmatisierung von psychischen Erkrankungen. Hilfsangebote sind niederschwelliger geworden und auch in Schulen und Kindergärten wird der psychsichen Gesundheit ein höherer Stellenwert eingeräumt. "Trotz allem gibt es aber nach wie vor großen Handlungsbedarf und ein enormes Entwicklungspotenzial."
Insbesondere die Pandemie und all ihre Folgen haben die vielen noch bestehenden Schwachstellen aufgezeigt und psychisch belastete Familien besonders hart getroffen. "Die Isolation und der fehlende Kontakt zu Bezugspersonen außerhalb der Familie hat vieles kaputt gemacht. Auch bei Familien, die eigentlich schon auf einem guten Weg waren. Besonders bei Kindern und Jugendlichen sehen wir einen starken Anstieg der Auffälligkeiten." Umso verständlicher ist auch der große Wunsch von Petra Rebhandl-Schartner an die Politik und an unsere Gesellschaft: "Ich wünsche mir eine vollständige Gleichstellung von körperlichen und psychischen Erkrankungen. Das bedeutet auch, dass jeder der es braucht, entsprechende Therapie und Behandlung und jeder Angehörige präventive Unterstützung bekommen soll."
Wordrap zum Schluss:
Was war früher dein liebstes Schulfach? Turnen
Warum machst du heute den Job, den du machst? Weil Familien, Kinder und Jugendliche, die psychisch belastet sind, mein Herzensthema sind
Was macht dir in deiner Arbeit am meisten Spaß? Wenn ich mit den Kindern lachen kann
Worauf könntest du in deinem Leben nicht verzichten? Auf mein Fahrrad
Wofür würdest du mitten in der Nacht aufstehen? Für einen Sonnenaufgang am Berg
Worauf freust du dich im Jahr 2022? Auf einen Urlaub am Meer
Wenn du drei Wünsche frei hättest - welche wären das? Eine lange, abenteuerliche Reise mit meiner Familie; psychische Gesundheit als "selbstverständliches" Thema in unserer Gesellschaft; körperliche und psychische Gesundheit für Menschen, die mir nahestehen und die Fähigkeit im Jetzt zu leben
Wenn du dir ein Land aussuchen könntest: in welchem würdest du gerne leben? In Österreich
Welche war die beste Entscheidung deiner beruflichen Laufbahn? Dass ich mich immer dafür entschieden habe, was ich gerne mache
Für welche drei Dinge in deinem Leben bist du dankbar? Für meine Familie; für meine Freunde und mein soziales Umfeld; dafür, dass ich beruflich das machen kann, was mich erfüllt